Wenn an einem sonnigen Tag in München die Kirchenglocken zu hören sind, dann ist das wie die Melodie der Freiheit. Wer vom Marienplatz die Sendlinger Straße vorläuft, sieht hinter dem alten Stadttor die St. Matthäuskirche. Ihre Glocken sind in ökumenischer Verbundenheit mit dem Geläut des Doms abgestimmt und laden ein zum Gottesdienst mitten in München. Trubel und Hektik erfüllen die Stadt. In den Gesichtern der Menschen ist oft die große Armut in der Stadt zu sehen – die Einsamkeit. Der Gottesdienst der Christen ist die Einladung zur Gemeinschaft.
Prof. Andrea Riccardi, der Gründer der Gemeinschaft Sant‘ Egidio und Karlspreisträ- ger, hat im Jahr 2011 in einer Rede in St. Matthäus gesagt: „Ein individualistisches Christentum hat keine Botschaft für die Stadt und ihre einsamen Leute, sondern es passt sich dem Stolz und dem Schmerz der Einsamkeit unserer Zeit an. Es kommt nicht auf den zahlenmäßigen Umfang einer Gemeinde, einer christlichen Gemeinschaft an. Aber eine christliche Gemeinschaft zu sein, ist ein Zeichen in der Stadt, ein Zeichen, das der zur sozialen Gewohnheit gewordenen Tendenz hin zur Einsamkeit und zum Individualismus entgegenstrebt.“ Beim Gottesdienst kommen Menschen aus der Stadt zusammen und sind zu aller erst eine Gemeinschaft von Menschen, die bedürftig sind, die alle angewiesen sind auf Gottes Wort und Gnade.
Martin Luther sagt über den Gottesdienst der christlichen Gemeinde, „dass nichts anderes geschehe, als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.“ Es sind also zwei Organe, die beim Gottesdienst besonders wichtig sind: unsere Ohren und unser Mund! Wir machen den Mund auf, um Gott zu ehren. Wir singen Lob- und Danklieder, wir bekennen unseren Glauben, wir beten mit einander und füreinander, für die Verantwortlichen in der Politik und Wirtschaft, in der Verwaltung, in den Kirchen und der Bildung, für die Familien und die Kranken, – die Krankenhäuser der Stadt umgeben die Matthäuskirche – für den Frieden und die Gerechtigkeit. Und wir gebrauchen unsere Ohren: Wir hören im Gottesdienst auf das Evangelium, das uns in der Tiefe unseres Lebens die Liebe Gottes zusagt. Es bittet uns, Jesus Christus zu vertrauen und uns mit ihm anzufreunden.
Wer in der Matthäuskirche Gottesdienst feiert, sieht das große Altarbild von Angela Gsaenger hinter dem Altar. Es zeigt uns das himmlische Jerusalem, die neue Stadt, in der Gott selbst unter uns wohnt und den Menschen die Tränen abtrocknet. Diese Zukunft sollen wir im Gottesdienst vor Augen bekommen und Hoffnung schöpfen für unser ganz normales Leben in der Stadt. Denn das normale Leben, der Alltag in Familie und Beruf, in Freizeit und gesellschaftlicher Verantwortung ist der wirkliche Gottesdienst mitten in der Stadt. Es fällt auf, dass im Neuen Testament die Sonntagsversammlungen der christlichen Gemeinde gerade nicht Gottesdienst genannt werden. Gottesdienst ist das tägliche Leben der Christen (Römer 12,1-2), ein Leben, das von Gottes Liebe geprägt ist und Liebe übt. Nochmal Martin Luther: „Es gibt keinen größeren Gottesdienst als die christliche Liebe, die den Bedürftigen hilft und ihnen dient.“
Die Versammlungen der Gemeinde am Sonntag (ich spreche jetzt bewusst nicht von Gottesdienst) sind der Ausgangspunkt für diesen Gottesdienst im Alltag, sind der Ort, an dem sich unser Leben klärt. Wir kommen zum Hören und zur Anbetung. So feiern wir als Gemeinschaft der Matthäusdienste jeden Sonntagabend in der Matthäuskirche Gottesdienst. Die Glocken laden ein, alle sind willkommen. Wir wollen die Gemeinschaft mit Gott und untereinander stärken. Der Gemeindesaal hilft uns, vor und nach dem Gottesdienst Zeit zu verbringen und miteinander zu reden. Wir gehen befähigt in den Gottesdienst im Alltag, mitten in der Stadt, voll Vertrauen auf Jesus unseren Herrn. Unser Leben soll von der Melodie der Freiheit bestimmt sein.